Überarbeitung von Prüfschritten im Jahr 2022

Detlev Fischer

Durch die Aktualisierung der EN 301 549 auf Version 3.2.1 ergeben sich für die Barrierefreiheit von Web-Inhalten sechs neue Anforderungen, die der BITV-Test in sechs Prüfschritten abbildet. Diese werden zum Auslaufen der Übergangsfrist des EU-Durchführungsbeschlusses 2021/1339 am 12.02.2022 in den Test integriert.

Zum rechtlichen Hintergrund

Öffentliche Stellen sind verpflichtet, ihre Webangebote barrierefrei zu gestalten. Als Standard für Barrierefreiheit verweisen die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) 2.0 und entsprechende Rechtsetzungen der Bundesländer auf die europäische Norm (EN) 301 549. Es gilt die Version, die zuletzt im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde. Im August 2021 hat die EU-Kommission per Durchführungsbeschluss (EU) 2021/1339 mit einer Übergangsfrist bis 12. Februar 2022 die EN 301 549 V3.2.1 (2021-03) (PDF, 2,17 MB) zum geltenden Standard erklärt. Diese EN verweist im Annex A in der Tabelle A.1 (PDF) auf sechs neue Anforderungen, die für Web-Content normativ verpflichtend sind: vier in Kapitel 6 „Zwei-Wege-Sprachkommunikation“ und zwei in Kapitel 7 „Videofähigkeiten“.

Mit dem Ablaufen der Übergangsfrist haben wir die sechs neuen Anforderungen in sechs Prüfschritte gegossen. Der BIK BITV-Test besteht daher fortan aus insgesamt 98 Prüfschritten.

Ein Überblick über die neuen Anforderungen

Die Entwicklung der Prüfschritte erfolgte in einem von der DIAS-Testentwicklung moderierten öffentlichen Austausch auf GitHub unter BIK-BITV/BIK-Web-Test. Neben Verbänden und Organisationen von Menschen mit Behinderungen sind daran auch Hochschulen, kompetente Webagenturen, Überwachungsstellen und qualifizierte Einzelpersonen beteiligt. Außerdem haben wir uns mit Vertretern des EN-Normungsgremiums abgestimmt.

Vier neue Anforderungen aus Kapitel 6 „Zwei-Wege-Sprachkommunikation“

6.4 Alternativen zu sprachbasierten Diensten

Wenn Webangebote eine Spracheingabe implementieren, also über Sprache Eingaben und Auswahlen möglich sind (ähnlich wie in einer Telefon-Hotline), dann soll es eine zugängliche Alternative für diese Funktionen geben, die nicht Sprechen und Hören voraussetzt. Wir haben diese Interaktionsmöglichkeit bisher in den Angeboten, die wir getestet haben, noch nicht gesehen. Nicht von dieser Anforderung betroffen ist die Nutzung der systemseitigen Spracheingabe, denn diese ist ja immer eine Alternative zur Eingabe über die Tastatur (oder virtuelle Tastatur).

6.5.4 Synchronität bei Videotelefonie

Ton und Bild in einer Echtzeit-Videoschalte sollen nicht auseinanderlaufen. Diese Anforderung betrifft also nur Webangebote, die Echtzeit-Videokonferenzen implementieren. Hier müsste für die Prüfung eine Kommunikation mit einem anderen Endgerät aufgebaut werden und dann überprüft werden, ob es zu Asynchronität, also deutlichen Verzögerungen der Bild- oder der Tonausgabe kommt. Da Verzögerungen sicherlich auch von der Qualität der Verbindung abhängen, hier aber die Qualität der Umsetzung im Webangebot geprüft wird und nicht Unwägbarkeiten der Verbindung, ist der Test bei guter Verbindung und ausreichender Bandbreite durchzuführen.

6.5.5 Visuelle Anzeige von Audio-Aktivität

Diese neue Anforderung betrifft nur Webangebote, die Videokonferenz-Funktionen integrieren. Wenn in einer solchen Konferenz jemand spricht, soll die jeweilige Audio-Aktivität der Sprechenden sichtbar sein. Bei den uns bekannten Videokonferenz-Anbietern ist das der Fall (auch wenn der Kontrast und damit die Sichtbarkeit der Anzeige oft nicht gut ist ist). Werden solche Funktionen in Webangebote integriert, muss auch hier eine visuelle Anzeige der Audio-Aktivität gegeben sein. Der Prüfschritt selbst enthält keine konkreten Anforderungen für den Kontrast der Anzeige – das wäre gegebenenfalls Gegenstand anderer Prüfschritte wie 9.1.4.11 (Grafik-Kontraste).

6.5.6 Sprecher-Anzeige für Gebärdensprachen-Kommunikation

Auch diese neue Anforderung betrifft nur Webangebote, die Videokonferenz-Funktionen integrieren. Sie verlangt, dass bei der Verwendung von Gebärdensprache durch Teilnehmende in Videokonferenzen der Aktivitätsstatus (jemand gebärdet) entweder manuell aktivierbar ist oder automatisch angezeigt wird. Uns ist diese Funktion bisher in keiner gängigen Software begegnet. Die Sprechaktivität der in solchen Fällen ebenfalls teilnehmenden Gebärdensprachdolmetschenden wäre ja sichtbar (gemäß Anforderung 6.5.5 oben), bei Erfüllung dieser Anforderung gäbe es dann keinen Zweifel mehr, welche/r der anderen Teilnehmenden gerade gebärdet, also mit Händen spricht. Möglich, dass das Vorhandensein dieser Anforderung dazu führt, dass diese Funktion bald in Videokonferenz-Software (und damit auch in deren mögliche Webeinbindungen) Einzug hält.

Zwei neue Anforderungen aus Kapitel 7 „Videofähigkeiten“

7.1.4 Untertitel-Anpassungen

In dieser Anforderung wird verlangt, dass Nutzende Eigenschaften der Untertitel an ihre Bedürfnisse anpassen können. Dazu könnten etwa Größe, Kontrast, Transparenz des Hintergrunds, Schrifttype oder Position zählen. Viele gängige Player, darunter auch der native HTML5 Player, erlauben dies bislang nicht. Was genau sich anpassen lassen muss, ist in der Europäischen Norm nicht normativ festgelegt. Manche Video-Player, z. B. der AblePlayer, bieten bereits umfassende Anpassungsmöglichkeiten, setzen dann aber das Vorhandensein von JavaScript Libraries (jQuery im Fall des AblePlayers) voraus. Wie diese Anforderung realistisch zu prüfen ist und was sie Entwicklern und Entwicklerinnen zwingend abverlangt, haben wir noch nicht befriedigend klären können. Wir sind darüber im Austausch mit Autoren der Europäischen Norm.

Von der Anforderung ausgenommen sind Videos mit dauerhaft sichtbaren ("eingebrannten") Untertiteln, die sich dadurch natürlich nicht anpassen lassen. Wir hoffen, dass diese neue Anforderung nicht dazu führen wird, dass Anbieter auf die Vorteile dynamisch zuschaltbarer Untertitel verzichten, um die neue Anforderung nicht erfüllen zu müssen.

7.1.5 Gesprochene Untertitel

Diese Anforderung verlangt, dass Nutzende bei Videos eine Sprachausgabe der Untertitel aktivieren können. Eine Rückfrage bei den Autoren der Europäischen Norm hat ergeben, dass der Sinn dieser Anforderung darin besteht, Videos mit fremdsprachiger Tonspur und übersetzten, also eigensprachlichen Untertiteln für Menschen mit Seheinschränkungen akustisch zugänglich zu machen. Sind sowohl Ton als auch Untertitel in der eigenen Sprache (der bei weitem häufigste Fall), greift diese Anforderung damit nicht. Auch zusätzliche Sprachversionen sind nicht betroffen, wenn sowohl die Sprache der Tonspur als auch die Untertitel in der Originalsprache verfügbar sind.

Die Aktivierung einer (automatisch generierten oder als zusätzliche Tonspur hinterlegten) zweiten Sprachausgabe verlangt natürlich auch, dass die Originaltonspur ersetzt oder zumindest stark abgedimmt wird. Wir suchen noch nach Umsetzungsbeispielen für diese Funktion, um für solche Fälle auch praktische Hinweise geben zu können.

Auch hier sind Videos mit dauerhaft sichtbaren ("eingebrannten") Untertiteln von der Anforderung ausgenommen.