Letzte Änderung: 18. Oktober 2022
Immer mehr Web-Anbieter – auch öffentliche Stellen – binden sogenannte Overlay-Tools ein, in der Hoffnung, damit schnell und einfach ihr Angebot barrierefrei(er) zu machen. Dabei folgen sie oft dem Marketing-Versprechen von Overlay-Anbietern, die gern den Eindruck erwecken, mit ein paar Klicks ließe sich ein nicht barrierefreies Angebot barrierefrei machen.
Üblicherweise wird ein Overlay über eine JavaScript-Anweisung eingebunden. Auf dem Angebot erscheint dann ein zusätzliches Bedienelement, etwa ein Symbol oder ein Menü, das dann einen Blumenstrauß unterschiedlichster Anpassungsmöglichkeiten anbietet: andere Kontrast-Schemata, vergrößerter Text, hervorgehobener Fokus, größerer Cursor, bestimmte Tastaturkürzel zum Navigieren von Bereichen usw.
Was erstmal ganz gut klingt, hat in der Praxis oft schwerwiegende Nachteile. Für Nutzende, die bereits mit einem Hilfsmittel wie dem Screenreader arbeiten, können zum Beispiel gewohnte Tastaturbefehle plötzlich nicht mehr verfügbar sein, weil sie nun vom Overlay genutzt werden.
Dass Overlays kein geeigneter Weg sind, Barrierefreiheit herzustellen, darüber besteht unter Expertinnen und Experten weltweit weitgehend Einigkeit. Mehr als 700 Menschen mit Behinderung und Barrierefreiheits-Professionals haben bereits das Overlay Fact Sheet (englischsprachig) unterzeichnet, das die wichtigsten Punkte der Kritik zusammenfasst, und haben damit deutlich gegen den Einsatz von Overlays und die falschen Versprechungen der Overlay-Anbieter Stellung bezogen. Das Overlay Fact Sheet bietet außerdem zahlreiche O-Töne von Menschen mit Behinderungen mit deutlichen Worten der Unzufriedenheit bezüglich Overlays sowie Links zu Dutzenden von weiteren Veröffentlichungen, die sich kritisch mit Overlays auseinandersetzen.
DIAS hat bereits vor einiger Zeit eine Reihe von Web-Angeboten öffentlicher Stellen in Europa, die Overlays einsetzen, stichprobenartig untersucht. Anlass war die Bitte von Funka (Schweden), für einen Vortrag vor der Web Accessibility Directive Expert Group der Europäischen Kommission die praktischen Auswirkungen des Einsatzes von Overlays zu erkunden und vorzustellen. Neben Funka und DIAS hat auch AnySurfer (Belgien) daran mitgewirkt. Wir fassen im Folgenden die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.
Menschen mit Behinderungen brauchen bei der Nutzung des Webs in der Regel bestimmte Anpassungen durchgehend. Sie brauchen zum Beispiel immer stärkere Kontraste oder immer größere Schrift, sie nutzen durchgehend die Tastatur, oder sie brauchen den Screenreader für die Bedienung und akustische Vermittlung der Inhalte. Dabei ist es extrem wichtig, dass über die verschiedensten Web-Angebote hinweg die üblichen Anpassungen und Navigationsweisen gleichermaßen möglich sind: Dass zum Beispiel Texte nicht abgeschnitten werden, wenn größere Schriften oder Zeilenhöhen eingestellt sind, sondern die Text-Container mitwachsen, oder dass die Screenreader-Kurzbefehle für die Navigation überall funktionieren. Der Design-Ansatz von Overlays verlangt dagegen von Nutzenden, dass sie sich mit speziellen Anpassungsmöglichkeiten für nur ein Angebot mit einem bestimmten Overlay auseinandersetzen. Das ist von Nutzenden schlicht nicht zu erwarten: Es ist zeitraubend und unproduktiv.
Dies sind nur einige Beispiele. Overlays
Ganz abgesehen vom zweifelhaften Nutzen eines Overlays: Es ist fraglich, ob dessen Symbole und Anpassungsmöglichkeiten überhaupt von Nutzenden wahrgenommen, verstanden und bedient werden können. Bei manchen Overlay-Anbietern fanden sich schwerwiegende Mängel bei der Untersuchung der Bedienelemente. Mängel waren beispielsweise:
Eine weitere Frage ist, ob die aktivierten Anpassungen durch Overlays überhaupt in der Lage sind, Barrierefreiheit herzustellen, wenn das zugrundeliegende Angebot selbst deutliche Mängel hat.
Das Ergebnis der Untersuchung war eindeutig: Angebote mit Barrieren hatten auch nach Aktivierung des Overlays weiterhin Barrieren, und oft wurden sogar zusätzliche Barrieren geschaffen. Wieder einige Beispiele:
Wohlgemerkt zeigen sich viele der hier genannten Probleme auch bei Nutzung der Einstellungsmöglichkeiten des Browsers. Der springende Punkt ist jedoch, dass diese Probleme auch beim Einsatz von Overlays weiter bestehen oder sogar verschärft werden. Ein Overlay kann sie nicht reparieren. Unsere Untersuchung ergab: In keinem Fall war ein Overlay in der Lage, eine nicht barrierefreie Site quasi automatisch WCAG- bzw. BITV-konform zu machen. Je schwerwiegender die bestehenden Barrieren, desto weniger waren Overlays in der Lage, die Situation für Nutzende zu verbessern.
Es bleibt dabei: Barrierefreiheit ist etwas, um das sich Anbieter selbst kümmern müssen. Ein Overlay schafft keine Barrierefreiheit, sondern verschlechtert in vielen Fällen die Benutzbarkeit des Angebots für Menschen mit Behinderungen.
BIK rät Anbietern grundsätzlich dringend davon ab, Overlays auf ihren Angeboten einzubinden.
Kritisch äußern sich auch die Überwachungsstellen des Bundes und der Länder für die Barrierefreiheit von Informationstechnik in ihrer im Juli 2022 veröffentlichten Gemeinsamen Einschätzung zur Verwendung von Overlay-Tools.